Der Pirat von Feldafing

Der querschädelige Lothar-Günther Buchheim, Bestseller-Autor und Kunstsammler von Rang, veröffentlicht den gewaltigen Kriegsroman „Die Festung“.

1995 
von Tom Schimmeck 

Er ist umzingelt von „dusseligen Scheißern“, „Literatenschweinen“ und „Schwätzern“, getriezt – und das ist schon liebevoll – von den „raffinierten Schweinetreibern“ seines Verlages. Im Acht-Minuten-Takt muß das gequälte Multitalent klarstellen, daß ihn „alle am Arsch lecken können“, er schaut hinaus in den Garten und schimpft: „Scheißwetter!“

Der Mann hat sich nie artig zu Wort gemeldet, hat mit einem Haufen Leuten Krach gehabt. Er ist gewiß kein Diplomat – auch diese Zunft verachtet er mit Inbrunst. Es macht ihm Spaß, wenn es ein bißchen raucht. Weshalb viele ihn als „Urviech“, „Poltergeist“, „Choleriker“ und „Kotzbrocken“ abhandeln.

Man könnte es mit der Angst bekommen. Doch hier sitzt er an seinem Schreibtisch im heimischen Feldafing: angetan mit hellbrauner Jacke und dunkler Cordhose, er schnauft, er kichert, er krault die grauen Bartstoppeln, fingert bisweilen an der schwarzen Augenklappe – der Kulturpirat vom Starnberger See.

Lothar-Günther Buchheim ist bester Stimmung. Nach dem „Boot“, weltweit über drei Millionen Mal verkauft, hat er, nun 77, endlich das „Riesending“ vollendet: „Die Festung“, 1500 Seiten fett, seine wohl finale Schwarte.

Das Manuskript war über die Jahre auf 6000 Seiten angeschwollen, abgelegt in 42 Aktenordnern, die auf dem Fußboden seines Arbeitszimmers, rechts hinter ihm, lauerten. Der Doktor war in Rufweite, denn der Dichter hatte Probleme mit dem Herz. Auf seinem Schreibtisch liegen auch zwei künstliche Hüftgelenke, die längst ausgedient haben.

Buchheim ist voller Vorfreude auf den Rummel der Kritiker, Fans, Neider. Leicht schwerhörig, doch mit diebischem Grinsen lauscht er den blöden Fragen, die nun unweigerlich kommen müssen. Einerseits haßt er dieses Getue und Gesülze ja, die albernen Verehrungsrituale, das ganze aufgeblasene Zeremoniell. Wenn er mal wieder „vor Scheißpublikum sitze“, malt er sich genüßlich aus, werde er diesen Leuten genau zeigen, wie er das Buch geschrieben hat: “ ‘Sehen Sie den Daumen an, hier den Zeigefinger, hier den Mittelfinger. Zählen Sie nach, ohne doppelten Boden: drei Finger.“ Die Leute bestätigen das. ‘Sind Mutige unter Ihnen?“ frage ich. ‘Fassen Sie den Daumen an! Mit den drei Fingern, der kleine muß nicht unbedingt abgespreizt sein, nehme ich einen Tintenkuli, im Sack zu 1000 Stück gekauft – und schreibe das ganze Buch.“ “

Andererseits ist er verdammt eitel und fühlt sich noch immer ein wenig verkannt. Ganz nebenbei läßt er einfließen, er sei in den USA der berühmteste deutsche Autor – „vor Böll und Grass“ –, zermalmt mit Verve sogleich „diese Kunstgewerbeschreiber und verkitschten Kulturchargen“: „Wenn ein Buch eine Auflage von mehr als 3000 erzielt, wird man ja verpönt. Dann ist man Trivialliterat.“

Ein Unikat. Schon als Kind hatte Buchheim, Jahrgang 1918, der Erste Weltkrieg gefesselt. Er verschlang die Literatur, verarbeitete das Schlachten in frühen Kunstwerken. 1941 meldete er sich freiwillig zur Marine. Zuvor hatte er sich vor drei Gestellungsbefehlen durch Wohnungswechsel gedrückt. Buchheim, nun „Kriegsmaler“, fotografierte, zeichnete, notierte auf Zerstörern, Minenräumbooten und in U-Booten. Ein Schiffsheini, ganz wild auf jene schwimmenden Gefährte, die ihm wie lebendige Wesen erschienen. Einer seiner ersten Berichte von Bord („Hussah, die Jagd geht auf“) geriet so schmissig, daß auch der „Völkische Beobachter“ ihn druckte.

Wieviel wußte er? „Wahnsinnig viel“, sagt Buchheim. Er war ständig unterwegs, in Frankreich, Deutschland, vor allem in Berlin – stets mit „ausgefahrenen Antennen“: Leutnant Buchheim „war in der ganzen Marine wohl der einzige, der ganz genau Bescheid wußte und sehr, sehr aufpassen mußte, daß ihm kein Wort entfuhr“. Sein Leben, sagt er, „verdanke ich einer einzigen Tatsache: daß ich nie konspirativ war. Wenn ich andere zu überzeugen versucht hätte, hätte ich an der Wand gestanden.“ Seine „Verachtung“ für die „blöden Stiesel“ half ihm, den Mund zu halten. Er sagte sich: „Sollen die sich ihre Metzger selber suchen.“

Er hat, auch später, nicht versucht, gegen den Krieg anzubrüllen; für Pazifismus, sagt er, sei er „nicht blöde genug“. Buchheim, der Forscher, guckte hin, bestaunte die Technik, studierte die Abläufe an Bord, die merkwürdigen „Befehlsansprachen“ und ihre Quittierung, die ihn „immer an das kirchliche Respondieren erinnerten“. Er führte kein Tagebuch. Aber sein Seemannspullover steckte voller Zettel, auf denen er Details festhielt, technisches Wissen, Kommandos. Auch „sogenannte Obszönitäten von Seeleuten“, nicht „aus irgendwelchen Geilheiten heraus“, sondern weil er sie „als Gymnasiast, der ich ja nun mal war, surrealistisch, absurd, großartig fand: ‘Veronika, das Scheißhaus brennt, die Filzlaus längs der Sacknaht rennt“ “.

Buchheim baggerte hunderttausend Bilder, Stimmungen, Gerüche in sich hinein. Er ließ sich packen von dieser grellen Faszination, diesem perversen Prickeln, das Krieg vor allem den Männern verschafft. Sein Gegengift: Akribie. So konnte er den Wahn entwaffnen, in Partikel zerlegen, jene Distanz schaffen, die er braucht und schätzt.

Nach dem Krieg kaufte er Kunst und verlegte Bücher, doch rückblickend scheint ihm das fast wie eine Flucht. Er hatte ja immer diese „Saga“ im Kopf. Doch es schien hoffnungslos, die abertausend Details wieder hervorzuwürgen. Er wollte ein großes Zeugnis ablegen, strebte nach einer „zweiten Wahrheit“ und brachte doch nur „wütende Rülpser“ zustande – unbrauchbar, viel zu nah an der Erinnerung. „Das Boot“ erschien erst 1973. Er pries das Buch damals als einen „Akt der Selbstbefreiung“, aber der gelang wohl nur partiell. Das Thema ließ ihn nicht los, weiter suchte er zu beschreiben, was er am Krieg für beschreibenswert hält: den „Geschmack der Angst“.

Einen zweiten Roman wollte er bald folgen lassen, die ganze Geschichte seiner Zeit als Frontberichterstatter, voll domestizierten Grauens, noch minutiöser, von einer noch dröhnenderen Intensität. Doch aus zwei wurden 22 Jahre. Wenn da nicht dieses „hochmoralische Obligo“ gewesen wäre, hätte er wohl fluchend hingeschmissen: „Ich bin der einzige weit und breit, der, durch Zufall, durch Glück, die Dinge in dieser Breite erleben und überleben konnte.“ Und er hatte auch keine Lust, das Geschäft den Historikern zu überlassen, die “überhaupt nicht vermitteln können“, allenfalls „den Autoren Versatzstücke liefern“.

In seinem Alter, mit seinem Vermögen, malt sich Buchheim aus, könnte er auch gut auf einer karibischen Insel herumliegen: „Da bin ich nackig vor meiner Hütte, die picobello aufgeklart ist, laß mir die Sonne auf den Bauch scheinen. Und dann reiß’ ich mir Sackhaare aus, und aus denen flechte ich klitzekleine Fußabtreter für Puppenstuben, und die verkaufe ich wahnsinnig teuer. Das wäre das wahre Leben, hab’ ich meinem Verleger gesagt, und statt dessen mach’ ich hier den Idioten für euch.“ Das ist natürlich kokett. Im selben Atemzug zeigt er Neigung, ein großes Werk über die Nachkriegszeit anzupacken: „Da hat ja auch noch keine Sau geschrieben, was da wirklich los war.“ Nein, sein Zorn ist viel zu wach für die Karibik.

Zumal da ja noch die Buchheimschen Sammlungen sind, all die Bilder und die Vasen, Tassen, Stoffe und Schnallen, die Muscheln und Puppen, dazu afrikanische Stühle und chinesische Seidendrachen, Riechfläschchen, alte Zirkuspferde und ein paar tausend gläserne Briefbeschwerer. Das Ehepaar Buchheim hat sie im Laufe der Jahrzehnte in seinen nun vollgepackten schönen Bau am Starnberger See geschleppt. Der „Nukleus“ – die knapp 500 Werke des Expressionismus, auf gut 150 Millionen geschätzt – ist wohlverwahrt. Der „Humus“, viel wunderschönes Zeug, schmückt ihr Anwesen.

Buchheim will alles „ans Volk zurückgeben“, schon „weil aus unserem Zeug keine Ferraris gemacht werden sollen“. Doch er besteht darauf, daß Nukleus und Humus zusammenbleiben. Seit 1971 verhandelt er über eine Stiftung, erst in Bayern, dann in Duisburg, wo ein Museum gebaut und dann anderweitig genutzt wurde. Dann wieder in Bayern, und nun auch in Sachsen. Es hat gewaltigen Krach gegeben, Politiker und Anwälte wurden im Dutzend verschlissen. Selbst mit dem nun verstorbenen Halbbruder Klaus, lange CSU-Bürgermeister von Feldafing, hatte Buchheim eine wilde Fehde um einen Museumsbau im Dorf.

Ist er nicht doch ein Streithammel? „Ich halte mich für ein Lämmlein“, sagt Buchheim. Hat ihn der Ruhm vielleicht ein bißchen überschnappen lassen? „Wir haben uns die Existenz nicht verändern lassen“, beteuert der Dichter, „wir leben auf der untersten Stufe der Bescheidenheit.“

Aber lugt da draußen nicht ein Rolls Royce durchs halboffene Garagentor, ein „Silver Shadow“? Buchheim lacht schallend: Den hätten Freunde ihnen gerade geschenkt, Frau Buchheim sei darob „ein bißchen böse“. Prompt tritt sie ein und spricht standhaft: „Ich steig’ da nicht rein!“ Und Buchheim stürmt hinaus, um sich am Anblick des Motors zu ergötzen.
 

LOTHAR-GÜNTHER BUCHHEIM wurde am 6. Februar 1918 in Weimar als Sohn der Kunstmalerin Charlotte Buchheim geboren. Schon als Schüler, mit 14, schrieb er unter verschiedenen Pseudonymen für alle Chemnitzer Zeitungen; 1935 hatte das zeichnende und malende „Wunderkind“ seine erste AUSSTELLUNG. Nach dem Abitur fuhr er mit dem Faltboot die Donau hinab bis zum Schwarzen Meer und veröffentlichte 1939 bei S. Fischer ein Buch über diese Donaureise: „Tage und Nächte steigen aus dem Strom“. Er studierte an den Kunstakademien von Dresden und München. Im Zweiten Weltkrieg war er zunächst Kriegsmaler, dann KRIEGSBERICHTERSTATTER MIT EINSÄTZEN VOR ALLEM AUF U-BOOTEN. Nach dem Krieg gründete er eine Galerie, schrieb und verlegte Kunstbücher und kaufte bedeutende Expressionisten (u. a. Dix, Kirchner, Nolde), deren Wert heute auf weit über 150 Millionen Mark geschätzt wird. Seit 1980 tobt die Auseinandersetzung um ein „Museum der Phantasie“, dem er seine Sammlungen stiften will. 1973 veröffentlichte er den Roman DAS BOOT (Weltauflage über drei Millionen), der 1981 von Wolfgang Petersen verfilmt wurde. Nun erscheint sein neuer Roman „Die Festung“. Buchheim lebt mit seiner Frau Diethild in Feldafing am Starnberger See

© Schimmeck