TOM SCHIMMECKs ARCHIV
Juni 2007
 

Tom Schimmeck

Haltungen, Popper und Moneten

Rede zur Jahreskonferenz des Netzwerks Recherche
15. - 16. Juni 2007

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen!

Als mich der gefürchtete Enthüllungsjournalist Dr. Thomas Leif anrief, um zu fragen, ob ich hier heute das erste große Fass anzapfen, die Auftaktrede halten würde, war ich sehr verblüfft.  Genauer gesagt, ich habe gedacht: Die spinnen.

Ich bin wahrlich kein “Alphajournalist”, wie das neuerdings heißt, bestenfalls ein Gamma-Tierchen. Ein Studienabbrecher, der den Beruf nie formell korrekt gelernt hat. Der nie einen Preis bekommen hat - nicht einmal die „Verschlossene Auster“. Der nie im Fernsehen war.

Vielleicht liegt schlicht eine Verwechselung vor. Man habe sich entschlossen, hieß es in einem der Ankündigungstexte zu dieser hochwohlmögenden Versammlung, mit der schon traditionellen Medienschelte am Samstagmorgen diesmal keinen „alten Hasen“,  sondern mal einem „jungen Kollegen“ zu betrauen. Das geht einem nach 28 Berufsjahren wirklich runter wie Butter. Aber man muss doch erkennen: Auch beim Netzwerk Recherche wird das Geburtsdatum nicht immer nachgecheckt.

Die freundlichste Deutung ist, dass einigen Obernetzwerkern womöglich die Texte gefallen haben, die ich in letzter Zeit über den Zustand unseres Metiers verfasst habe. Der erste, ein langgezogener Schmerzensschrei mit dem wenig ausgewogenen Titel „Arschlochalarm“, befasste sich mit jenem verschmockten, völlig inhaltsleeren, dafür umso aufgeblaseneren Zirkus, der sich selbst gerne „Hauptstadtjournalismus“ nennt. Vermutlich in Abgrenzung zur ordinären Dorfschreiberei.

Ein Akt purer Seelenhygiene meinerseits. Entstanden in jenem Wahlkampf, an dessen Ende ein verkorkster Abgang des Kanzlerdarstellers Schröder, ein lausiges Ergebnis seiner inzwischen quartalsweise umjubelten Nachfolgerin und vor allem der Bankrott dessen stand, was in besseren Zeiten politischer Journalismus hieß. Ich erinnere, wie ich eines tristen Tages der Kandidatin Merkel und ihrem neuen Star Kirchhoff lauschte – just auf Mutter Erde herabgepurzelt, um den Menschen Heil und Erlösung zu bringen.

Es war ein Riesenschmarren, da vorne auf der Bühne der CDU-Parteizentrale. Der eigentlich schockierende Moment aber kam, als ich mich umdrehte. Und in die Gesichter einer gewaltigen Zahl von Menschen schaute, die wild entschlossen schienen, den ungelenken Firlefanz auf der Bühne mit ihren Blöcken, Mikrofonen und Kameras zum politischen Großereignis zu verdichten, mit Terabytes von Wörtern, Tönen und Bildern zu zelebrieren.  Und sie taten es. Unerschrocken. Wochenlang. Bis einer wie im Märchen rief: Der hat ja gar nichts an! Da war plötzlich „die Geschichte durch“, wie man in Berlin sagt. Nun schrieb man mit gleichem Elan das Gegenteil.

Was haben wir uns früher über das „Raumschiff Bonn“ lustig gemacht. Dieses provinzmiefige Provisorium, diesen absurden Quadratkilometer voller Schauspieler, Saufnasen und Seilschaften. In Berlin, das war die Hoffnung, würde ein großstädtischer Wind den Kleingeist wegpusten. Würde endlich wahre, wertige, wuchtige Politik gemacht, geistvoll, gehaltvoll, gut für die Menschen. In Berlin, hurra, würde auch deren Betrachtung und Analyse neue Tiefenschärfe finden. Würde endlich ein Journalismus wachsen, wie er uns kaum je vergönnt war: Genau, galant, scharf, human, humorvoll. Die Weimarer Zeit war zu kurz, die Hitlerei lochte die Talente ein, trieb sie ins Exil oder ermordete sie. Das piefige Bonn bot wohl nie recht den Humus dafür. Von Berlin Ost mal ganz zu schweigen.

Pustekuchen! Was wir bekamen, war die „Berliner Republik“. Viele Scheinwerfer, wenig Schatten. Verglichen mit den Meinungs-Nussschalen, die heute über die Spree tänzeln, hatte manch Bonner Haudegen den Tiefgang eines Tankers. Das klingt wohl ein wenig nach „früher war alles besser“. Was einem „jungen Kollegen“ natürlich gar nicht zusteht. Vielleicht sage ich es mit einem Ausruf des großen, just verstorbenen Stinktiers Lothar Günther Buchheim, der einmal, sich über einen Kollegen echauffierend, rief: „Der nennt sich Publizist – und ich höre immer nur Pups.“

In Berlin passt der Satz gelegentlich sehr gut..

Vieles ist an dieser Stelle schon gesagt worden. Frank A. Meyer hat hier im vergangenen Jahr die Hybris der gleichgeschalteten Meinungsmacher beleuchtet, die totale Geschwätzigkeit und die Gala-geile Selbstweihräucherungslust unserer sich immer hermetischer abriegelnden Kaste. Er kam dabei übrigens zu einem ganz ähnlichen Schluss wie ich in meinem ersten Wutausbruch: Dass sich viele Medienleute nicht mehr als Mittler zu den Menschen, sondern als Mitinhaber von Macht begreifen. Ihre Währung heißt Wichtigkeit. Sie suchen die Nähe anderer „Wichtiger“, möglichst im Fernsehen. Denn sie haben verstanden: Wer notorisch auf der Mattscheibe herumfuhrwerkt, wird quasi automatisch groß. Die Perpetuierung der eigenen Visage generiert Bedeutung.

Jürgen Leinemann sprach hier vor zwei Jahren sehr aufrichtig über seinen eigenen Schmerz mit unserer Profession, über die Allüren und Lebenslügen der Medienfuzzis, dieses eitle Schaulaufen der journalistischen Selbstvermarkter, das man jetzt häufig bestaunen kann, wenn unsereins zusammenkommt. Seine Rede gipfelte in der Schlussfolgerung, die journalistische Freiheit unserer Republik sei heute – Zitat – “viel weniger durch obrigkeitsstaatliche Pressionen bedroht als durch die weiche Knechtschaft einer eitlen Selbstverliebtheit.” Leinemann ist viel zu loyal, um dies explizit auf seinen “Spiegel”  zu beziehen. Wir wissen auch so, wen er meint.

Ich gebe zu: Ich bin kein klassischer Tagungsteilnehmer. Beim letzten Journalistenkongress, den ich freiwillig besucht habe, war ich 16 und Schülerzeitungsredakteur. Ich erinnere, dass er in Frankfurt stattfand, dass er sich gegen “Zensur und Repressalien” richtete. Und dass an der Eingangstür kräftig gebaute Ordner einer DKP-nahen Jugendorganisation standen, die keinen durchließen, der ihnen politisch nicht in den Kram passte. Wir sind gleich alle empört abgereist. Was bedeutet: Ich war eigentlich noch nie freiwillig auf einem Journalistenkongress.

Ich bin lieber unterwegs. In der weiten Welt. Am besten da, wo möglichst wenig andere Journalisten sind. Nicht weil ich ein Snob wäre, sondern weil alle Reportererfahrung lehrt: Je weniger Medienmenschen an einem Ort anwesend sind, desto besser kann sich dort Wirklichkeit entfalten, normalmenschliche Realität. Am schlimmsten ist es, wenn das Fernsehen kommt. Dann bricht alles authentische Leben jäh zusammen. Dann kann man eigentlich nach Hause gehen. Weil im Scheinwerferlicht alle nur noch Huhu und Haha machen, irgendwie wirken wollen und dabei komplett ballaballa werden. Ist einfach so. “Kann man nicht gegenan”, sagt der Hamburger.

Die Reden von Leinemann und Meyer habe ich also nachgelesen. Und mich gefragt: Wie kann man das weiterspinnen? In eine Richtung, die nicht alle schon hundertmal gehört haben. In Leinemanns Rede kam viermal eine Vokabel vor, die ich in letzter Zeit, wenn ich über den Zustand des Gewerbes jammere, auch gerne verwende: Haltung. Nicht im Sinne von Körperhaltung, oder gar Hab-acht-Stellung. Sondern im guten Duden-Sinne von “Grundeinstellung, die jemandes Denken und Handeln prägt”.

Haltung. Ich glaube, dass viele in unserem Metier mit diesem Wort rein gar nichts mehr anfangen können. Dass es ihnen fremder klingt als Desoxyribonukleinsäure. Aus einer Reihe von Gründen.

1. Die Ausbildung. Da gedeiht ein Dschungel neuer Medienstudiengänge – für junge Menschen, die, wie das heute so schön heißt, “irgendwas mit Medien” machen wollen – TV, PR, Werbung, am besten alles zusammen. Die Zahl der Studenten, meldet der Wissenschaftsrat, habe sich binnen zehn  Jahren auf rund 55 000 verdoppelt. Hinzu kommt eine Fülle von Journalistenschulen, über die ich wenig sagen kann, da ich sie höchstens mal als Gelegenheitsdozent von innen gesehen habe. Manche haben große Talente hervorgebracht. Doch der Verdacht bleibt: Dass Geschmeidigkeit hier oft mehr zählt als Charakter. 

2. Die Hackordnung. Wer ewig am unteren Ende der Leiter steht, durch einen nie endenden Tunnel von Praktika gezwungen wird, lernt bald, dass Überzeugungen und Prinzipien im Zweifel stören. „Ach, die Jungen“, seufzte neulich die kampferprobte Redakteurin eines öffentlich-rechtlichen Senders, als ich nach dem geistig-moralischen Zustand des Nachwuchses fragte. Dann rührte sie in ihrem Kantinenkaffee und sprach: „Die gucken immer gleich nach, ob noch Platz im Darm ist.“

3. Die Berufsverhältnisse. Der aktuell arbeitende Journalist schuftet, zumal in der Hauptstadt, unter mehrfach durchrationalisierten Stressbedingungen. Jeder einzelne ist von – gefühlt – drei Dutzend PR-Akrobaten, Spindoktoren, Verbandslautsprechern und Pressebeschwörern umstellt, deren bloße Kakophonie ihn schon am Denken hindern könnte. Sofern er überhaupt Zeit dafür hätte.

4. Der Zeitgeist. Da bin ich Experte. Schon weil ich vor 20 Jahren einmal kurzfristig Redakteur eines damals neuen „Zeitgeist-Magazins“ mit dem flotten Namen „Tempo“ war. Seither verfolge ich die Wirrungen des so genannten „Popjournalismus“ mit einer gewissen Faszination. Betrieben wird er meist von Söhnen und Töchtern aus gutem Hause, die viel Freude an Markenprodukten und der narzisstischen Umkreisung des eigenen Bauchnabels haben. Sie unterscheiden streng zwischen “in” und “out”. Ersteres sind in der Regel sie selber, letzteres alle anderen, insbesondere “Prolls”, “Alt-68er” und alle dieses irgendwie albern engagierte Volk. Politisch endet der Popjournalist nach allerlei Pirouetten verlässlich und sehr pragmatisch irgendwo zwischen Guido Westerwelle und Roland Koch. Sein Feind ist der „Gutmensch“ im schlecht sitzenden Anzug. „Gutmensch“ ist überhaupt eines seiner liebsten Schimpfwörter. Weil er nämliche jede Art von Haltung zutiefst verachtet.

Die Stärke dieser Subspezies Journalist ist ihr üppiges, zuweilen ins Großkotzige changierende Selbstvertrauen. In panischer Angst, einen Trend zu verpassen, am Ende gar die Jugend zu verlieren, haben viele deutsche Chefredakteure solche nassforschen Popper eingekauft. Warum auch nicht? Die sind in der Regel emsig und stören nicht, und deshalb heute in allen Zeitungen und Zeitschriften von Rang vertreten. Manch fruchtbaren Textacker haben sie komplett umgepflügt. Freien Autoren, wie ich einer bin, fällt das regelmäßig auf, wenn sie sich mal wieder fragen: Wo nur bringe ich diese große Reportage noch unter? Oder gar einen richtig analytischen Text? Das ist sehr, sehr schwierig geworden.

Das Magazin der „Zeit“, für das ich einst schrieb, ist schon lange tot. Neuerdings findet sich hier ein buntes „Leben“, in dem Helmut Schmidt raucht. Der Herausgeber. Interviewt vom Chefredakteur. Das ist von großer, wenn auch unfreiwilliger, Komik. Das Magazin der FAZ ist auch längst weg, das der „Süddeutschen“ stürzte vor Jahren schon ins kunterbunte Nichts. Auf dem Höhepunkt seiner Pop-Karriere, wir erinnern uns, gab es den hübschen kleinen Skandal um Tom Kummer, diesen tollen Interviewer, der seine schrillen Gespräche mit den Stars leider frei erfunden hatte. Als er erwischt wurde, taufte er den Betrug „Borderline-Journalismus“.

Die beiden SZ-Verantwortlichen, Ulf Poschardt und Christian Kämmerling, wurden furchtbar bestraft. Poschardt durfte bei der “Welt am Sonntag” als cooler Rechtsaußen antreten, Kämmerling beim Radikalumbau der einst seriösen Schweizer “Weltwoche” unter Roger Köppel mithelfen, der nach vollbrachter Tat bekanntlich Chef der deutschen “Welt” wurde. Nun hört man, Kämmerling beschäftige sich mit einem möglichen Neustart des FAZ-Magazins und einer Zeitschrift namens “Heroes”. Ulf Poschardt lenkt derweil das deutsche “Vanity Fair”. Noch so ein Blatt, wo wir alle noch viele kluge Texte unterbringen werden. Auch der Verlag Gruner und Jahr, eine andere bewährte Bastion des Qualitätsjournalismus, schenkt uns ja ständig neue Sturmgeschütze der Aufklärung. “Park Avenue” zum Beispiel.

Ich bin eine Spur zu jung, um ein echter 68er zu sein. Aber ich frage mich immer öfter, warum die Generation der geschmeidigen Macher direkt nach mir, diese “Generation Mini-Golf”, wie ein Kollege mal spottete, die 68er derart hasst. Gewiss: Das ganze Generationengerede taugt nur bedingt. Und trotzdem hat jede Zeit ihre Stimmen und Stimmungen, ihren Geschmack, ihre Helden – ihre Haltung. Sie kennen das vielleicht: Wenn man Musik aus der Zeit hört, die einen geprägt hat, kommt das Lebensgefühl wieder. Meine 70er etwa waren eine schrille, oft absurde Zeit  voller Widersprüche, Zweifel, Experimente, auch voller Unfug. Aber sehr lebendig, sehr suchend und intensiv. Immerhin haben wir damals die “taz” geschaffen.

Neulich dachte ich: Die armen Popper haben nichts eigenes, die kennen nur “hip” und “retro”, nur Zitate, kein Empfinden. Vielleicht sind sie einfach unendlich neidisch, langweilen sich schrecklich, müssen gähnen beim Anblick ihrer eigenen, ereignislosen Biographie. Immer nur cool gewesen und gut angezogen. Nichts erlebt, nichts ersehnt, nie enttäuscht worden. Wo soll da bitte Haltung herkommen?

“Medienalarm” lautet die lärmende Überschrift, die Leif & Co dieser Rede gegeben haben. Also treten wir kurz einmal zurück und betrachten die Lage unserer Medien. Gehen wir zu einem gut sortierten Bahnhofskiosk. Wir sehen: Endlose Meter Zeitungen und Zeitschriften. Sagenhaft. Und dann suchen wir mal jene Publikationen zusammen, in denen wir den feinen Journalismus zu finden hoffen, den wir vom noblen Netzwerk Recherche gerne hoch halten. Welch ein elendes Häuflein.

Ein ähnliches Erlebnis haben Sie alle schon an jenen scheußlichen Abenden gehabt, an denen die Finger auf der Fernbedienung vor lauter vermeintlicher Vielfalt nicht zur Ruhe kommen. Zapp zapp, durch alle Kanäle. Blut, Kitsch und Paris Hilton. Da entsteht oberhalb der Wirbelsäule schnell echter Unterdruck. Ich, als typischer Tatort-und-Tagesthemen-Konsument, bin fassungslos, wenn ich die Statistiken sehe: 202 Minuten guckt angeblich jeder Durchschnittsdeutsche tagtäglich in die Röhre, zusätzlich hört er 186 Minuten Radio. Zeitungen und Zeitschriften liest er auch noch. Wenn er das nicht alles gleichzeitig macht, kommen dabei rund sieben Stunden Medienkonsum pro Tag heraus. Wann schlafen die Leute eigentlich? Wahrscheinlich vor dem Fernseher.

Als Fernsehmensch würde ich in die Kirche gehen und göttlichen Beistand erflehen. Stellen sie sich einmal diese Verantwortung vor: 82,459 Millionen Einwohner, und ein jeder glotzt 1229 Stunden pro Jahr. Das macht 100 Milliarden Stunden per annum allein in Deutschland. Welch ein geradezu astronomischer Zeitdiebstahl. In Japan - 251 Minuten Tagesdosis – und den USA – 271 Minuten – sind die Verhältnisse noch krasser.

Die wichtigere Frage bleibt die inhaltliche: Was wird gedruckt? Und was quillt aus Deutschlands 43 Millionen angemeldeten Radios und den 37 Millionen angemeldeten Fernsehgeräten? Wenn ich einen masochistischen Tag habe, schalte ich morgens um 5:35 Uhr im Deutschlandfunk die Presseschau aus deutschen Zeitungen ein. Da tröten die hohlen Phrasen der deutschen Meinungs-Armada, die ganze Blechbüchsenarmee der Platitüden scheppert einem durch den noch wehrlosen Kopf. Und weckt diese späte Sehnsucht, endlich doch noch einen anständigen Beruf zu ergreifen. Der Kommentar ist wahrlich nicht die Königsdisziplin in diesem Land. Der “Spiegel” etwa drückt sich hier seit dem Tod Rudolf Augsteine komplett. Die Ideologie quillt wohl zwischen den Zeilen hervor. Eine klar formulierte Meinung aber ist wahrscheinlich Chefsache. Und der Chef hat keine. Können wir da nicht mal etwas tun? Meinung hat ja idealerweise auch etwas mit Haltung zu tun.

Wenn wir weiter an der Radioskala drehen, kommen viele Sender, auf denen “echte Hits” mit aufdringlich fröhlichen Worten verrührt werden. Besonders perfide: Die Sprüche sind immer gleich, werden aber alle paar Sekunden als “echte Abwechslung” angepriesen. Wir müssen hier gar nicht groß auf “die Privaten” schimpfen. Etliche öffentlich-rechtliche Programme gehorchen heute der gleichen Dumm-dumm-Rezeptur. Zum Beispiel bei der heute gastgebenden Anstalt NDR, die so bescheiden von sich behauptet, „das Beste am Norden“ zu sein. Auf NDR 2 etwa, dem Sender meiner Jugend, der früher Informationen und Debatten satt lieferte und abends den “Club”, ist Dudeln heute Pflicht. Längst ist der Kanal zum, ich zitiere „attraktiven Begleitprogramm für die jüngere und mittlere Generation” umgemodelt worden. Komplett durchformatiert, harmlos, zahnlos, nur noch gut, um Zeit tot zu schlagen. Kein Journalismus mehr, der beim Netzwerk Recherche Gefallen fände.

Der öffentlich-rechtliche Rundfunk ist eine wirklich großartige Erfindung. Doch viele seiner Oberen und die sie umgebenden politischen Kräfte, lieber Herr Wulff,  scheinen seit vielen Jahren danach zu streben, das zahlende Publikum von jeder tiefer gehenden Einsicht fernzuhalten. Die gründlich ausgeforschte und typisierte Kundschaft wird aufgespalten. Hier die  kleine Schar der Unverbesserlichen, die Futter für ihr Hirn verlangen, der „modernen Kulturorientierten“, wie das im Fachjargon heißt. Die bekommen ein paar Info- und Kulturkanäle. Dort die große Restmasse, denen nur mehr sedierende Zerstreuung eingeträufelt wird. Frohsinn und Musik, zwo, drei, dazu ein bisschen Wetter und Verkehr.

Ich war zufällig dabei, als man hier, im ehemaligen „Rotfunk“, Anfang der 80er begann aufzuräumen. Ein Herr Räuker war Intendant. Wer als studentische Hilfskraft auch nur auf den Knopf des Kopierers drücken wollte, musste mindestens im RCDS sein. Ich habe diese Hinrichtung journalistischen Esprits damals in Artikeln so liebevoll beschrieben, dass der Intendant vor versammelter Belegschaft einen Tobsuchtsanfall hinlegte. Den ich, dreist wie ich damals wohl war, hinter der letzten Sitzreihe kauernd, still genoss. Wenig später war ich “Freier” beim NDR. Die Ära fiel sehr kurz aus. Falsche Haltung. 

Kommen wir zum Kern. Reden wir über’s Geld. Da ist ein „Freier“ Experte. Ahnt irgendjemand hier, wie viel von ihren rund 7,3 Milliarden Euro die öffentlich-rechtlichen Anstalten für guten Journalismus ausgeben? Ein Fernsehautor erzählte mir diese Woche, seine Honorare würden sich auf dem Niveau von vor 20 Jahren bewegen. Bei den Zeitungen, das kann ich halbwegs überblicken, ist nach den Sparrunden der vergangenen Jahre kaum mehr Geld da. Die honorieren in aller Regel dürftig und nach Zeile, was Recherchen geradezu bestraft. Reisespesen sind Glückssache. Selbst ein Hochglanzmagazin wie Geo hat Tagespauschalen längst gestrichen.  

Für viele freie Autoren ist die Lage bedrückend. Ihnen bleibt kaum Raum für anständigen Journalismus. Manchmal ist es auch eine Frage der Würde. Ein persönliches Beispiel: Nachdem vor fünf Jahren mein Stammblatt „Die Woche“ pleite ging, arbeitete ich unter anderem für die „Süddeutsche Zeitung“. Drei Jahre lang lieferte ich jede Woche zwei Texte, egal, ob ich Fieber hatte oder auf Reisen war. Das machte sogar Spaß. Obendrein war es ein festes Einkommen.

Eines Tages klingelte das Telefon. Der Ressortleiter war dran. „Du, hier läuft ein Typ von Roland Berger rum“, raunte er, „Ende 20, mit Fliege, hochmotiviert.“ „Ja und?“, fragte ich. „Wir müssen Dein Honorar um 25 Prozent kürzen.“ Spontan schlug ich vor, es gleich um 100 Prozent zu kürzen. Ich würde dann einfach aufhören, sagte ich. Weil das kein Umgang mit guter, stets gelobter Arbeit sei. „Das kannst Du doch nicht machen“, brummte er. Wir verabschiedeten uns hastig. 

Am nächsten Tag rief er wieder an. „Ich hab mir das noch mal überlegt“, sagte er, „wir kürzen das Honorar nur um 12,5 Prozent.“ Das fände ich eigentlich noch schlimmer, antwortete ich. „Warum denn das?“, fragte er. „Weil das keine echte Einsparung mehr ist, sondern nur noch der symbolische Akt, mich über das Roland-Berger-Stöckchen springen zu lassen.“ Dann sehe er keinen Spielraum mehr, sprach der Ressortleiter und legte auf. Die Mitarbeit endete sofort. Monate später schrieb der Chefredakteur eine Email, dass das ja irgendwie blöd gelaufen sei. Seither nichts mehr aus München. So läuft freier Journalismus heute. Vogelfreier Journalismus.

Man schlägt sich so durch. Und ich will nicht larmoyant werden. Mir geht es gut. Ich mache, was ich will. Und das mit Wonne. Welcher Journalist kann das von sich sagen? Ich habe viel zu tun. Nächste Woche fliege ich in die USA, für ein Radiofeature über Kriegsveteranen in der amerikanischen Gesellschaft – „Die Narben des Uncle Sam“. Der Deutschlandfunk, mein Lieblingssender, will das senden, und nicht um 0.45 Uhr, sondern um 19.15 Uhr. Nur die vollen Reisekosten kann auch er nicht tragen. Ich habe versucht, dafür eine Koproduktion einzufädeln. Aber glauben Sie nicht, man könne auf eine Antwort zählen, wenn man einer ARD-Redaktion ein ausführliches Exposé samt persönlichem Anschreiben schickt. In diesem Fall: Kein Ton. Funkstille beim WDR, beim SWR, beim NDR. Ich vermute, jeder Freie kennt das. Manchmal fehlt es eben nicht nur an Mitteln, sondern auch an Manieren.

Wie also rettet man sein Feature-Projekt? In diesem Fall durch einen Bruch mit den hehren Prinzipien des Netzwerks Recherche. „Journalisten machen keine PR“, sagen wir. Ich habe das heftig verteidigt, mit flammendem Wort und erigiertem Zeigefinger. Doch dann meldete sich neulich ein alter Bekannter an und fragte, ob ich für seine Firmenzeitschrift eine USA-Reportage schreiben würde. Kurz durchdacht: Das würde die Reisekosten decken. Mein Feature wäre gerettet. Ich müsste eine nette kleine Rundum-Reportage schreiben, eigentlich nichts ehrenrühriges. Trotzdem ist es natürlich PR; für eine Firmenzeitung; in einem Werbeumfeld. Steinigt mich dafür, wenn Euch danach ist. Oder verratet mir eine Alternative.

 

Ich fasse zusammen:

1. Im heiklen Wechselspiel der „Leitmedien“ und Gleitmedien, der politischen Akteure und der sie umkreisenden Journalisten hat vor allem der politische Journalismus gelitten. Selbst in einst seriösen Zeitungen geht es oft nur mehr um die Frage, welcher Akteur gerade wie dasteht und wie gut sein Sakko sitzt. Die distanzierte Demut des Beobachters weicht dabei der Geltungssucht des Mitmischers, der Menschen und Themen nach Gusto herauf- und herunterschreibt. Reale politische Konflikte werden zunehmend als hässliches Gezänk gespiegelt, die vermeintlichen Sieger und Verlierer täglich neu und oft willkürlich festgelegt. Die Macht  professioneller Einflüsterer ist deutlich gestiegen.

2. Mit dem Niedergang ihrer Urteilskraft sinkt auch das Image der medialen Mittler. Am deutschen Film, besonders am deutschen Fernsehkrimi, kann man das gut ablesen. Dort hat sich der Journalist als verlässlich mieser Antityp etabliert, stets schmierig und penetrant. Ein Widerling, der meist im Rudel auftritt.

3 Je unsicherer man ist, desto stärker wird das Bedürfnis nach Selbstvergewisserung. Die Binnenwelt der Medien gibt sich gerne glamourös, gebiert aus dem Nichts Stars, die sich bei Galas über rote Teppiche schieben. Man zeigt, interviewt, feiert und lobt sich gegenseitig, hängt sich allerlei Medaillen um. So entsteht ein klebriges Miteinander. Dabeisein ist die Währung. Könige sind jene Fernsehgesichter, die durch Dauerpräsenz einen Extra-Marktwert zu schaffen verstehen, oft mit Hilfe öffentlich-rechtlicher Anstalten und ihrer Gebührenzahler. Um solche Prominenz alsdann in klingende Münze umzuwandeln – schon weil sie ab einem bestimmten Wiedererkennungswert als Werbeträger taugen. Journalisten verwandeln sich hier in käufliche Kaufleute. Während das Publikum in Billigformaten zunehmend kannibalisiert, sich selbst zum Fraße vorgeworfen wird.

4. Mut und Eigensinn der Journalisten müssen gestärkt, ihre Arbeitsmöglichkeiten dürfen nicht durch immer knapper werdende Ressourcen eingeschränkt werden.  Qualitätsjournalismus brauch guten Raum: Einfallsreiche Programme und Publikationen. Mit jedem Girlie-Blättchen, jedem Shoppingkanal, jedem Dudelsender hingegen verabschieden sich wieder Millionen unterforderte Gehirnzellen in den Vorruhestand.

5. Alljährlich produziert unser Bildungssystem tausende Nachwuchskräfte für unser Metier. Sie landen in einem grellen Medienmarkt, der für analytischen, investigativen, kritischen Journalismus nur noch in Ausnahmefällen Platz und Mittel hat. Denkbar wäre ein Ausbildungsmoratorium für Journalisten. Gekoppelt mit dem Neustart einer Verlegerausbildung. Denn mutige Verleger sind Mangelware. In den Stamm-Verlagen sitzen nur noch Marketingleute, die auf Charts starren und Schickimicki-Ballaballa machen. Keiner, der sich etwas trauen, der sagen würde: Wir schaffen etwas richtig Gutes, das Neugier und Geist und Haltung zeigt. Wir nehmen Geld in die Hand und schicken Talente los, die sich unser Land und die Welt wieder gründlich und von allen Seiten angucken.

Zum Schluss: Wir wollen hier nicht zu düster malen. Es gibt eine Menge Leute, die in der Dunkelheit ein Licht anzünden. Nicht nur die arrivierten Damen und Herren vom Netzwerk Recherche, die die Fackel der Wahrheit bekanntlich ja nie aus der Hand legen. Sondern auch viele Journalisten, die etwa in ihrem Lokalblatt einfach aufrichtig über Menschen und Sachverhalte schreiben. Abseits der medialen Büffelherden, die Wucht nur durch bewegte Masse erzeugen. Jeder Tag bringt gute Artikel und Sendungen.

Wir leben in einem stabilen, demokratischen Land. Manchmal scheint unser Missmut drückender als die realen Probleme. Deutschland, schrieb Timothy Garton Ash dieser Tage, sei „eines der freisten und zivilisiertesten Länder dieser Erde“. Die Bürgerrechte würden hier besser geschützt als in den USA oder seiner Heimat Großbritannien. Und rühmte dann die „paradoxe“ deutsche Großleistung: „In diesem guten Land haben die Professionalität seiner Historiker, die investigativen Fähigkeiten seiner Journalisten, die Ernsthaftigkeit seiner Parlamentarier, die Großzügigkeit seiner Geldgeber, der Idealismus seiner Priester und Moralisten, das schöpferische Genie seiner Schriftsteller und, ja, die Brillanz seiner Filmemacher sich verbunden, um in der Vorstellungskraft der Welt die unauslöschlichste Verbindung Deutschlands mit dem Bösen zu zementieren.“

Ich finde, trotz etlicher Abstriche im Detail: Das stimmt. Lassen wir uns also unsere Medien nicht versauen. Wie sagte neulich unsere Kanzlerin, bei der Feier zum 80. von Alfred Neven DuMont? „Kaum ein anderer Bereich unserer Gesellschaft prägt Haltungen und Lebensentwürfe ganzer Generationen so stark, wie die Medien dies vermögen.“

Haltungen! Sie sehen: Auch Frau Merkel hat verstanden.

 

TOM SCHIMMECK, 47, taz-Mitgründer und hernach bei vielen deutschen Blättern, schreibt heute Reportagen, Portraits und Kolumnen. In seiner Scheune im Wendland versucht er seit Jahren, den Gottesbeweis zu führen.


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